Spionagevorwurf gegen Song Du-Yul in Südkorea

Bericht von Prof. Song Du-Yul aus Korea

Auf Einladung der staatlichen südkoreanischen Organisation Korea Democracy Foundation, kam ich nach 37 Jahren Exil mit meiner Familie am Montag, den 22. September 2003, 11.20 Uhr, am Incheon Airport in Anwesenheit von Frau Konsulin Beinhoff und Herrn Konsul Dr. Schindlmayr als Vertreter der deutschen Botschaft in Seoul und unter Begleitung von meinem Herrn Anwalt Kim Hyong-Tae an.

Am Mittwoch vor meiner Abreise habe ich aus koreanischen Pressenachrichten erfahren, dass angeblich gegen mich ein Haftbefehl wegen angeblicher Verletzung des Nationalen Sicherheitsgesetzes (NSL) vorläge. Dies wurde mir jedoch niemals offiziell mitgeteilt, und ich hielt dies für keinerlei Grund für einen Verzicht auf meine Rückkehr.

Am Flughafen fand ein Gespräch mit einem Abteilungsleiter des Korean National Intelligence Service (NIS, früheres KCIA) direkt nach der Passkontrolle statt, der mich fragte, ob ich den Haftbefehl annehme oder bereit wäre, morgen persönlich zum NIS zum Verhör zu erscheinen. Die Bedingung meines Einverständnisses zum Verhör war, dass mein Anwalt die ganze Zeit anwesend sein sollte.

Am nächsten Tag begann das Verhör um 9.00 Uhr, aber trotz dieser vorherigen Vereinbarung wurde die Anwesenheit meines Anwalts verhindert. Obwohl diese grundlegende Bedingung vom NIS nicht eingehalten worden ist, habe ich die Situation akzeptiert, da ich mich in jederlei Hinsicht unschuldig fühle und alle Vorwürfe gegen mich schnellstmöglich aktiv klären wollte.

Mir wurde vorgeworfen, gegen das Nationale Sicherheitsgesetz verstoßen zu haben, indem ich angeblich mit dem nordkoreanischen, hochrangigen (Rang 23 in der nordkoreanischen Hierarchie) Politbüromitglied Kim Chol-Su identisch sei.
Ein von mir eingeleitetes Verfahren gegen den nordkoreanischen Überläufers Hwang Chang-Yeop, der diesen Vorwurf erhoben hatte, wurde im August 2001 zu meinen Gunsten entschieden, da keinerlei Beweise vorlagen.

Ein zweiter Vorwurf bestand darin, dass ich angeblich Oh Gil-Nam, einen Südkoreaner, angeleitet haben soll, nach Nordkorea zu gehen. Nach einem 11-monatigen Aufenthalt in Nordkorea setzte er sich in den Westen ab.

Das Verhör wurde dann ohne Pause von zehn sich alle halbe Stunde abwechselnden Personen des NIS durchgeführt und man wollte mich dazu zwingen, auch die Nacht im Gebäude des NIS zu verbringen. Erst auf massiven Druck der Deutschen Botschaft, die durch meine Familie über die Verletzungen der Vereinbarungen informiert worden ist, konnte ich erst spätnachts nach ca. 13 h Verhör ins Hotel zurückkehren.

Das Verhör wurde unter diesen geschilderten Bedingungen zwei weitere Tage bis einschliesslich Donnerstag, den 25. September, weitergeführt, wobei das Verhör kontinuierlich 10 h bzw. 15 h dauerte. Am Donnerstag wurde gleichzeitig ein Ausreiseverbot gegen mich bis zum 3. Oktober ohne Angabe von Gründen mir gegenüber verhängt. Dieses Verbot lässt sich einmalig um 10 Tage verlängern.

Die Deutsche Botschaft wurde in dieser Zeit mehrfach bewusst vom NIS fehlinformiert, dass Rechtsbeistand angeblich gewährleistet gewesen sei. Auch trotz Intervention der deutschen Botschaft wurde die Anwesenheit des Anwalts nicht zugelassen.

Aufgrund der langen Verhördauer unter diesen Umständen war ich am Freitag physisch und psychisch am Ende meiner Kräfte, so dass ich nicht, wie vom NIS verlangt, um 9.00 Uhr erscheinen konnte. Auch den vom NIS später angesetzten Termin von 15.00 Uhr konnte ich aufgrund meiner Konstitution nicht wahrnehmen. Gegen Abend habe ich mit meinem Anwalt eine Erklärung abgegeben.

Am darauffolgenden Tag, Samstag, den 27. September, sollte ich um 10.00 Uhr erscheinen. Der Termin wurde jedoch mehrfach auf letztendlich 14.00 Uhr verschoben. Meine Erklärung wurde vom NIS nicht angenommen. Stattdessen wurde ich dem eingangs erwähnten Oh Gil-Nam gegenübergestellt. Obwohl das Verhör von offizieller Seite am Donnerstag beendet worden war, wurde ich wiederum bis 18.30 Uhr verhört.

Auf den Druck des NIS musste ich zudem eine lange für Montag geplante Veranstaltung der Universität Kwangju absagen, in deren Rahmen ich eigentlich die Ehrendoktorwürde erhalten und anschließend einen Festvortrag halten wollte.
Auch einen für Dienstag hier in Seoul geplanten wissenschaftlichen Vortrag im Rahmen der zur Zeit stattfindenden Konferenz der Korea Democracy Foundation "Perspektiven für eine demokratische Bewegung" sollte ich ursprünglich ebenfalls auf Druck des NIS abzusagen. Dieser Plenarvortrag ist jedoch einer der wichtigsten Gründe für meine Heimreise. Auf massiven Protest dagegen und Aufforderung der anwesenden Wissenschaftler und des Publikums diesen Vortrag doch zu halten, habe ich mich entschieden, als Schlussredner aufzutreten.

Der Abschlußbericht über dieses Verhör, der momentan noch aussteht, soll nun an die koreanische Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Dies ist zwar noch nicht erfolgt, kann aber jederzeit erfolgen. Auch nach diesem Verhör durch das NIS steht fest, dass der eingangs erwähnte Vorwurf, dass ich identisch mit dem hochrangigen Politbüromitglied Kim Chol-Su sein soll, jeglicher Grundlage entbehrt.

Da die erst genannten Vorwürfe des NIS nicht bekräftigt werden konnten, versucht man mir jetzt eine Verletzung des Nationalen Sicherheitsgesetzes anzuhängen. In den 70er Jahren reiste ich während der Militärdiktatur Südkoreas aus wissenschaftlichen Gründen nach Nordkorea. In der damaligen Zeit war es üblich durch eine Einreise die Parteimitgliedschaft zu erhalten. Zu keiner Zeit habe ich jedoch aktiv an der dortigen Politik teilgenommen.

In meiner oben erwähnten Erklärung, die ich nach Abschluß des Verhörs abgegeben habe, sind folgende zwei wesentliche Punkte beinhaltet: Aufgabe meiner Parteimitgliedschaft und meinen Willen, mich an die koreanischen Gesetze zu halten.

Der NIS versucht mit allen Mitteln und auch unter Zuhilfenahme von menschenrechtsverletzenden Mitteln während des Verhörs der vergangenen Woche nachzuweisen, dass ich identisch mit dem hochrangigen Politbüromitglied bin, da seine eigene Existenz auf dem Spiel steht. Die reaktionäre, konservative Opposition hat momentan die Mehrheit im Parlament inne und verlangt sogar eine drastische Kürzung des Etats des NIS, falls er in meinem Fall "versagen" sollte. Im kommenden Frühjahr finden hier zudem noch Wahlen statt und die Opposition sieht die Chance, sich durch hartes Durchgreifen gegenüber meiner Person profilieren zu können.

Ich bin so zum Spielball der innerkoreanischen Mächtkämpfe geworden, auch innerhalb des NIS kämpfen verschiedene Machtebenen gegeneinander, mit gezielten Fehlinformationen und Einschüchterungsversuchen.

Für mich und meine Familie ist diese Situation unerträglich, weil eine Anklage mit Verhaftung und eventueller Gefängnisstrafe aufgrund des NSLs trotz meiner deutschen Staatsbürgerschaft droht. Dieses anachronistische Gesetz stammt aus Zeiten des kalten Krieges und der Militärdiktatur und ist in Zeiten der Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea paradox.

Aufgrund der geschilderten Lage und der unkalkulierbaren und sich rasch wandelnden Verhältnisse befinde ich mich in einer großen Notlage und bin in dieser kritischen Situation für jegliche Unterstützung sehr dankbar.

Seoul, den 30. September 2003

Prof. Dr. Du-Yul Song


Heute, am 1. Oktober, kam es im Rahmen der jährlich zu diesem Termin stattfindenden parlamentarischen Kontrollkommission zu einer heftigen innenpolitischen Auseinandersetzung über meine Person. Daraufhin wurden die Akten mit dem Abschlußbericht des NIS an die Staatsanwaltschaft mit der Empfehlung weitergeleitet, dass gegen mich ein Verfahren eingeleitet und anschließend Anklage erhoben werden soll.

Als Reaktion auf diese neue dramatische Entwicklung werde ich am Donnerstag, den 2. Oktober, um 14.00 Uhr eine Pressekonferenz geben, auf der ich nochmals meine Positionen darlege.
Für Freitag, den 3. Oktober, bin ich um 9.00 Uhr bei der Staatsanwaltschaft vorgeladen.
Es ist noch nicht geklärt, ob mein Rechtsanwalt Kim Hyong-Tae mir Rechtsbeistand leisten darf.

Als Folge der Anklage sind folgende Szenarien möglich: zum einen droht mir die Verhaftung mit Gefängnisstrafe, zum anderen die Ausweisung. Aufgrund meines bisherigen lebenslangen Engagements sowohl für eine Demokratisierung als auch für eine Annäherung, Versöhnung und Wiedervereinigung zwischen Nord- und Südkorea würde eine Ausweisung für mich das Ende meines politischen und moralischen Kampfes bedeuten. Daher wäre ich sogar bereit, eher eine Gefängnisstrafe als die Ausweisung hinzunehmen.

Seoul, den 1. Oktober 2003

Prof. Dr. Du-Yul Song


Am Donnerstag, den 2. Oktober, um 14.00 Uhr habe ich auf einer Pressekonferenz nochmal meine Position genau erlaeutert, da gestern vom NIS einige Informationen an die Presse weitergeleitet worden waren, die nicht stimmten und mich in eine sehr schlechte Situation gebracht haben. Ich habe eine Erklärung verlesen, in der ich unter anderem zu folgenden wesentlichen Vorwürfen Stellung bezogen und erneut zurückgewiesen habe: ich sei identisch mit dem nordkoreanischen Politbüromitglied Kim Chol-Su, ich hätte von nordkoreanischer Seite Geld zur eigenen Verwendung angenommen und hätte den Südkoreaner Oh Gil-Nam angestiftet, nach Nordkorea zu gehen.

Gegen Abend habe ich aus den Medien erfahren, dass gegen mich das Ausreiseverbot um einen Monat verlängert worden ist.

Seoul, den 2. Oktober 2003

Prof. Dr. Du-Yul Song


Heute, am 3. Oktober, war ich vor der Staatsanwaltschaft vorgeladen und bin über den Abschlussbericht des NIS befragt worden Ich bin unter den drastischen Umständen des Verhörs (Zeitdauer, Abwesenheit des Anwaltes, Befragung durch 10 abwechselnde Personen) durch den NIS am 27. Oktober gedrängt worden, meine Unterschrift unter den 2035 Seiten langen Abschlußbericht zu setzen.

In der heutigen Befragung hat sich herausgestellt, dass dieser Bericht gravierende Fehler aufweist. Ich muß daher selbst diese Punkte widerlegen, da mein Rechtsanwalt erneut nicht anwesend sein darf. Mein Rechtsanwalt hatte skandalöser Weise zu keinem Zeitpunkt Einsicht in diesen Bericht des NIS.

Diese Befragung fand heute im Zeitraum von 9.00 Uhr bis 22.00 Uhr statt. Am Montag, den 6. Oktober, soll diese um 10.00 Uhr fortgesetzt werden. Die genaue Dauer ist mir nicht mitgeteilt worden.

Nach meiner Pressekonferenz vom Donnerstag bin ich nun vollends ins Zentrum einer in der Geschichte Südkoreas einmaligen innenpolitischen Auseinandersetzung gerückt. Die reaktionäre Grand National Party, die als Opposition die Mehrheit im Parlament besitzt, setzt das NIS und die Staatsanwaltschaft unter enormen Druck. Daher ist mittlerweile die Gefahr sehr groß, dass ich verhaftet werde und eine Gefängnisstrafe droht.

Aufgrund von Morddrohungen stehen meine gesamte Familie und ich seit heute unter Polizeischutz.

Seoul, den 3. Oktober 2003

Prof. Dr. Du-Yul Song