Spionagevorwurf gegen Song Du-Yul in Südkorea

Manisch-repressiv
Der Schauprozess gegen den deutsch-koreanischen
Hochschullehrer Song endet mit einem Skandalurteil

Von Rainer Werning

Nach 37-jährigem Exil sieben Jahre Gefängnishaft! Dieses Urteil fällte am 30. März der vorsitzende Richter Lee Dae-Gyeong der 24. Strafkammer am Seouler Distriktgericht. Damit hat die südkoreanische Justiz einmal mehr demonstriert, wie sehr sie noch den Kategorien des Kalten Krieges verhaftet ist und im Stechschritt mit lernresistenten, doch strategisch positionierten Dunkelmännern des nationalen Geheimdienstes (NIS) marschiert. Dies im Jahre 2004. Zudem in einem Mitgliedsland der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das sich vermeintlich von der bleiernen Vergangenheit der Militärdiktatur verabschiedet und eigentlich demokratischen Prinzipien verschrieben hat.

Ende September 2003 war der an der Universität Münster lehrende deutsch-koreanische Sozialphilosoph Song Du-Yul mitsamt Familie in seine Heimat Südkorea zurückgekehrt. Ihnen wurde ein großer Empfang bereitet, landesweit waren Vorträge für den bekannten Gegner der Militärdiktatur und Mentor der außerparlamentarischen Bewegung arrangiert. Stattdessen nahm sich der NIS des Akademikers an. Wochenlang wurde er unter entwürdigenden Bedingungen verhört. Dann hakte die Staatsanwaltschaft nach und beschuldigte Song, massiv gegen das aus dem Jahre 1948 (!) bestehende Nationale Sicherheitsgesetz (NSG) verstoßen zu haben. Ja, mit Song sei ihr ein wahrhaft dicker Fisch ins Netz gegangen, der im Politbüro der Partei der Arbeit Nordkoreas Rang 23 bekleide, ein unbelehrbarer Bewunderer der dort herrschenden Dschutsche-Ideologie sei und dem Ansehen Südkoreas in der Vergangenheit schwer geschadet habe.

Starker Tobak, den die Staatsanwaltschaft auch nach einem viermonatigen Prozess (2. Dezember bis 10. März) in keinem einzigen ihrer Anklagepunkten beweiskräftig untermauern konnte. Selbst nachdem ihr Kronzeuge, ein vor Jahren aus dem Norden in den Süden geflohener Überläufer, vollends eingeknickt war, forderte die Staatsanwaltschaft eine 15-jährige Haftstrafe, ein aus ihrer Sicht noch "mildes" Strafmaß. Nach dem NSG existiert Nordkorea nur als "staatsfeindliche Organisation". Ginge es nach der Logik der Staatsanwaltschaft, so der Angeklagte in seinem Schlussplädoyer, hieße dies, "dass alle deutschen Angestellten der deutschen Botschaft in Pjöngjang das Nationale Sicherheitsgesetz verletzt haben. Auch der Leiter des Goethe-Instituts in Seoul, der gleichzeitig für die Betreuung der Bibliothek in Pjöngjang zuständig ist und deswegen häufig nach Nordkorea reist, (...) müsste folgerichtig den Tatbestand der ‚Infiltration und Flucht' erfüllen".

Die Staatsanwaltschaft in Seoul verteidigt das NSG als "positives Recht". Das ist nachgerade absurd: Einerseits verhindert dieses Gesetz die Vereinigung des weltweit letzten geteilten Landes. Zum anderen treffen sich regelmäßig die Spitzen von Politik und Wirtschaft beider Länder im Geiste einer so genannten "Sonnenscheinpolitik". Lange bevor dieser Ausdruck geprägt wurde, hatte sich kein anderer Intellektueller unter den Exilkoreanern in Europa so sehr für den Dialog und eine friedliche Aussöhnung auf der koreanischen Halbinsel eingesetzt wie Song Du-Yul. Mehr noch: Da treffen sich im nordkoreanischen Mount Kumgang Resort zum 9. Mal seit Ende des Koreakrieges (1953) getrennte Familienangehörige aus Süd- und Nordkorea, während just in Seoul Kommissköpfe einen Mann verurteilen, der Zeit seines Lebens für eben eine solche Nord-Süd-Annäherung stritt.

Spätestens jetzt ist von bundesdeutschen Behörden ein starkes Engagement für den seit 1993 deutschen Staatsbürger Song gefordert. Und die Leitung der Frankfurter Buchmesse sollte tunlichst überlegen, ob sie an Südkorea als Gastland der Buchmesse 2005 festhält und wie sie dieses Skandalurteil angemessen kritisiert. Denn einem Land, in dem Gedanken und Worte nicht frei sind und deren Justiz erklärtermaßen die Feder mehr ächtet als das Schwert, sollte nicht auch noch eine internationale Plattform zur Selbstzelebrierung gegeben werden.