Spionagevorwurf gegen Song Du-Yul in Südkorea

Gedächtnisprotokoll zur Verhandlung im Prozess von Prof. Song Du Yul

Die 2. Verhandlung im Prozess von Prof. Song Du Yul begann am 16.12.2003 um 14:30 Uhr und dauerte einschließlich einer zehnminütigen Unterbrechung bis 19:30Uhr. Nachdem die Anklage den 1. Verhandlungstag bestimmt hatte, prägte dieses Mal die Verteidigung das Geschehen. Auf der Seite der Verteidiger saßen insgesamt 8 Personen, die soweit ich erfahren habe, in einer gemeinsamen Kanzlei arbeiten. Von diesen führten 4 abwechselnd die Verhandlung.
Der Richter machte gleich zu Anfang sehr bestimmt deutlich, dass jede Äußerung aus dem Publikum unerwünscht ist. Als Prof. Song den Raum betrat gab es kurz Beifall aus dem Publikum gegen den ein Koreaner lautstark protestierte. Als der Richter um Ruhe bat, äußerte dieser Mann weiterhin verbal seine offensichtlich gegen Prof. Song gerichtete Meinung. Daraufhin zitierte der Richter ihn nach vorn, nahm die Personalien des Mannes auf und verwies ihn dann unter Strafandrohung für den gesamten Prozessverlauf aus dem Gerichtsgebäude. Während der Verhandlung rügte der Richter mehrmals Personen aus dem Publikum, die während der Verhandlung das Gehörte mit Lachen quittierten. Insgesamt hatte ich im Verlauf der Verhandlung den Eindruck, dass der Richter an einem zügigen Prozessende interessiert war, was allerdings durch den Antrag auf Zeugenvernehmung und durch das Einreichen von neuem Beweismaterial der Staatsanwaltschaft vereitelt wurde. Der Richter wirkte sehr kompetent, z.B. scheint er die Publikationen Prof. Songs zu kennen. Als einer der Verteidiger einen Titel eines Buches von Prof. Song ungenau zitierte, korrigierte der Richter sofort und nannte den genauen Titel. Die Staatsanwaltschaft war durch 3 Personen vertreten, die die Verhandlung mit ihren Einwänden mehrmals unterbrachen. So verlangten sie, dass die Verteidigung Prof. Song nicht mit Titel und Namen, sondern als "Angeklagter" ansprechen sollte. Der erste Verteidiger, der den Anfang und das Ende der Verhandlung leitete ignorierte diese Forderung, zumal der Richter nichts gegen die Anrede mit Titel und Namen einzuwenden hatte, die anderen 3 Verteidiger redeten Prof. Song dann nur als "Angeklagter" an.

Zu den einzelnen Verhandlungsphasen.
Verteidiger 1
Er versuchte Prof. Song viel Raum zu geben, um seine Arbeit als Wissenschaftler vorzustellen und dabei gleichzeitig seine wissenschaftliche Position dem Gericht zu verdeutlichen. Das führte dazu, dass die Staatsanwaltschaft sich schon nach kurzer Zeit beim Richter beschwerte und verlangte, dass Prof. Song hier nicht als Professor dozieren, sondern als Angeklagter aussagen soll. Der Richter ging darauf nicht ein und ließ die Verteidigung ihrem Konzept folgen.
Es wurden u.a. folgende Fragen an Prof. Song gestellt, zu denen er ausführlich antworten konnte. Wann sind sie nach Deutschland gegangen und welches Fach haben sie dort belegt? Warum haben sie Interesse an der Forschung zum Thema Sozialismus? Welche wissenschaftlichen Methoden benutzen sie in ihrer Arbeit und auf welche philosophischen Ansätze gründen sich diese Methoden? Das Ganze zielte in die Richtung, zu zeigen, dass die Besuche Prof. Songs in der DPRK wissenschaftlichem Interesse und Forschung entsprangen. Dann befragte der Verteidiger Prof. Song über seine durch die Besuche erworbenen Ergebnisse seiner Arbeit. Prof. Song hatte Gelegenheit seine Theorie zum System in der DPRK vor und nach seinen Besuchen zu erklären. Er wurde zur Einschätzung der Juche Ideologie befragt und hatte Gelegenheit seine Systemkritik zu äußern. Der Verteidiger war bemüht Prof. Song als kritischen Wissenschaftler und nicht als Fahnenträger der DPRK zu beschreiben. Der Verteidiger konfrontierte Prof. Song mit der ihm zugeschriebenen Bezeichnung Grenzgänger zu sein. Das eröffnete Prof. Song die Möglichkeit seine Sicht zur Frage einer zukunftsorientierten Politik und Entwicklung in der menschlichen Gesellschaft allgemein und speziell im Blick auf die Frage der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Nord- und Südkorea darzustellen. Danach lenkte der Verteidiger den Verlauf der Verhandlung noch einmal ganz klar auf den Fakt, dass Prof. Song aus wissenschaftlichem Interesse, u.a. zur Materialsammlung für seine Doktorarbeit in die DPRK gereist ist und das sein Engagement für die Annäherung beider Staaten aus diesem wissenschaftlichem Interesse heraus erwachsen ist und keineswegs als Handlung beschrieben werden kann, in der Prof. Song als Marionette der DPRK und auf deren Befehl hin agiert hat. Es wird deutlich benannt, dass das von der DPRK an Prof. Song gezahlte Geld für die Fortführung dieser Arbeit bestimmt war.

Verteidiger 2
Von jetzt an wechselte die Verteidigung die Taktik. Sie stellte Prof. Song Fragen, die dieser mit Ja oder Nein beantworten konnte. In diesem Teil ging es u.a. um Fragen wie:
Stimmte es, dass sie 1991 von der Seoul National University zu einer Gastvorlesung eingeladen worden sind und gleichzeitig hatten sie eine Einladung zu Vorlesungen in der DPRK? Haben sie damals die Einladung in die DPRK angenommen? Der Geheimdienst hat verhindert, dass ihnen eine Einreise nach Südkorea genehmigt wird. Hätten sie im Falle der Genehmigung in Südkorea doziert?
Danach setzte sich dieser Verteidiger mit dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft auseinander, der besagt, Prof. Song wäre unter dem Namen Kim Chol Su in der DPRK politisch aktiv gewesen. Er macht u.a. deutlich, dass unter diesem Namen wenigsten vier in politischen Zusammenhängen aktive Personen in der DPRK existieren und die Zuordnung dieses Namens zu Prof. Song nicht nachgewiesen werden kann.
Dann brachte der Verteidiger das Gespräch auf die Tatsache, dass Prof. Song nach seiner Ankunft in Südkorea von der Justizbehörde unrechtmäßig behandelt wurde. Er wies z.B. darauf hin, dass Prof. Song unmittelbar nach seiner Ankunft verhaftet und verhört wurde, dass er zu diesem Zeitpunkt einen anstrengenden Flug hinter sich hatte, übermüdet war und praktisch nach deutscher Zeit nachts um 2 oder 3 Uhr verhört wurden. Dazu kommt, dass Prof. Song anfänglich keinen Rechtsbeistand hatte und das Verhör so angelegt war, dass die Antworten Prof. Song belasten mussten.

Verteidiger 3
Er zitiert ausführlich aus Publikationen von Prof. Song um seinen Denkansatz darzustellen und noch einmal sein wissenschaftliches Interesse an den Zuständen in der DPRK zu unterstreichen. Es bleibt bei der Fragetaktik, allerdings kann Prof. Song ab und an noch ergänzen und verdeutlichen was gemeint ist.

Verteidigerin 4
Sie zitiert häufig aus Interviews bezüglich der Wiedervereinigungsproblematik. Es geht sehr ausführlich um die 6 Symposien, die Prof. Song organisiert hat und von denen die ersten fünf in Beijing und das letzte in Pyongyang stattgefunden hat. Die Fragestellung erfolgt zu jedem einzelnen Symposium. Dabei werden aus Zeitdruck viele ursprünglich geplanten Fragen weggelassen, aber nie die Frage nach den Sponsoren dieser Symposien. Sponsoren sind immer große und bekannte Firmen bzw. Tageszeitungen und andere Medien(LG, SK, Hyndae, KBS, Chun An Ilbo, Hangug Ilbo...) aus der RO Korea gewesen. Das richtet sich offensichtlich gegen die Anklage, die ja behauptet Prof. Song sei ein aus der DPRK gesteuerter Agent und die Symposien seien deren Medium gewesen um die politische Entwicklung zu beeinflussen. Deutlich herausgearbeitet wird während dieser Befragung, dass Prof. Song eine Vermittlerrolle während dieser Symposien inne hatte und zwar eine ganz entscheidende, die weder die Vertreter aus Süd- noch aus Nordkorea hätten übernehmen können. Ebenfalls benannt wird, dass Prof. Song sich auf dem 2. Symposium ganz klar für eine Demokratisierung ausgesprochen hat. Es geht in diesem Verhandlungsteil noch einmal darum zu zeigen, dass Prof. Song keine "ferngesteuerte" Marionette des Nordens ist bzw. war und auf deren Befehl hin gehandelt hat. Seine mehrfachen Reisen in die DPRK basierten auf seiner Arbeit als Wissenschaftler.

Verteidiger 1 Er gibt Prof. Song noch einmal Gelegenheit sich näher zu erklären. Dieses Verhandlungsteil geht etwa in die folgende Richtung. "Sie haben als Wissenschaftler versucht die ideologischen Überreste des Kalten Krieges mit ihrer Arbeit zu überwinden. Sie haben sich engagiert um eine Annäherung beider koreanischer Staaten zu ermöglichen. Sie standen und stehen nicht im Dienst der DPRK."

Schlusswort von Prof. Song
Er erinnert an das Schicksal von H. Heine, der 13 Jahre im Exil leben musste, dann aber, und als Jude, in seine Heimat zurückkehren konnte um zu arbeiten und u.a. "Deutschland ein Wintermärchen" schreiben konnte. Er selbst ist seit 37 Jahren im Exil und er fragt: "Wann darf ich als Koreaner endlich wieder in meine Heimat zurückkehren und dort arbeiten?"

Die Staatsanwaltschaft beantragt eine weitere Verhandlung. Sie reicht u.a. ein Video ein, das Prof. Song in einer Fernsehaufnahme der DPRK im Mai 1991 zeigt. Der Richter verlangt, dass statt des Videos der verhandlungsrelevante Teil ausgedruckt beim Gericht eingereicht wird.
Die Staatsanwaltschaft erklärt, sie hätten Zeugen, die aber nicht in Anwesenheit der Verteidigung und nur anonym aussagen wollen. Der Richter lehnt anonyme Zeugen ab.
Die Verteidigung benennt ihrerseits Zeugen, die für Prof. Song aussagen werden. Für die folgenden Termine werden neue Verhandlungen anberaumt:

23.12.03
30.12.03
6.1.04
13.1.04

Jörg Baruth

Seoul, den 17.12.2003