Spionagevorwurf gegen Song Du-Yul in Südkorea

Offener Brief von Hans-Christian Ströbele an den Vorsitzenden Richter (04.02.04)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender Richter!

Mit grosser Besorgnis beobachte ich die Verhaftung und den Strafprozess gegen Professor Dr. Du-Yul Song, in dem Sie den Vorsitz haben.

Herr Professor Dr. Du-Yul Song hat die deutsche Staatsbuergerschaft und ist damit deutscher Staatsbuerger. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages sehe ich mich gefordert, mich um das Schicksal dieses Deutschen zu sorgen, das dieser derzeit in Suedkorea erleidet.

Meine Besorgnis bezieht sich auf die rechtliche Grundlage, auf die Anklage gestuetzt ist, und auf die Durchfuehrung der Hauptverhandlung unter Ihrem Vorsitz.

Verhaftung und Anklage sind auf ein Gesetz gestuetzt, das internationalen demokratischen rechtsstaatlichen Regelungen nicht entspricht, das Nationale Sicherheitsgesetz. Dieses Gesetz stammt aus der Zeit des Kalten Krieges und ist wohl nur aus dieser Zeit der Konfrontation zu erklaeren. Die Vereinten Nationen und das Europaeische Parlament haben zutreffend festgestellt, dass das Gesetz mit rechtsstaatlichen Grundsaetzten nicht zu vereinbaren ist.

Auf ein solches Gesetz darf deshalb ein Haftbefehl und eine Anklage sowie eine inzwischen viele Monate andauernde Freiheitsentziehung nicht gestuetzt werden.

Herr Professor Dr. Du-Yul Song sollte unverzueglich aus der Haft entlasssen werden. Wenn es Vorwuerfe gegen ihn gibt, die nach rechtsstaatlichen Kriteren und Gesetzen strafrechtlich relevant sind, koennen diese in einem fairen Verfahren geklaert werden, dem sich Herr Professor Dr. Du-Yul Song freiwillig stellen kann.

Mir liegt ein detaillierter Bericht ueber den Verlauf des Strafprozesses in Seoul an den ersten vier Verhandlungstagesn vor. Aus diesem Bericht entnehme ich durchaus, dass Sie als Vorsitzender Richter, der diese Verhandlung leitet, mehrfach eingegriffen und das Agieren der Staatsanwaltschaft beanstandet haben. Gleichwohl habe ich erhebliche Zweifel, ob dieser Prozess demokratischen und rechtsstaatlichen Regeln eines fairen Verfahrens entspricht, die nach international anerkannten Grundsaetzen immer beachtet werden muessen.

So ist fuer mich als Jurist und Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages unerklaerlich und nicht hinzunehmen, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft den angeklagten Professor Dr. Du-Yul Song immer wieder nach dessen ideologischer Einstellung zu dem herrschenden Regime in Nordkorea und danach befragt, ob und wann dieser dieses Regime kritisiert hat. Die politisch ideologische Auffasung des Professor Du-Yul Song kann doch genauso wenig strafrechtlich relevant sein, wie und ob dieser eine Kritik unterlassen hat. Nicht das Unterlassen der Kritik oder die Gesinnung koennen strafbar sein, sondern nur aktives Handeln, also Taten, die durch ein rechtsstaatliches Gesetz ausreichend bestimmt unter Strafe gestellt sind.

Der Strafprozess in Suedkorea wird in Deutschland nicht nur bei Freunden, Kollegen und Studenten des Professor Du-Yul Song mit grosser Aufmerksamkeit beobachtet sondern auch von Politikern, Abgeordneten und Teilen der Oeffentlichkeit. Wir sehen diesen Prozess als Beispiel und Test fuer unsere Beurteilung, inwieweit in Suedkorea Menschenrechte, buergerliche Freiheiten und der rechtsstaatliche Anspruch jedes Menschen auf ein faires Strafverfahren gewahrt und gewaehrt werden. Sie als Vorsitzender Richter haben danach eine grosse Verwantwortung.

Abschliessend weise ich daraufhin, dass Herr Professor Dr. Du-Yul Song in Deutschland, nicht nur in der Universitaetsstadt Muenster und der wissenschaftlichen Welt, sondern weit darueber hinaus, grosses Ansehen geniesst als Universitaetslehrer, Wissenschaftler und als Mensch.

Mit freundlichem Gruss,

Hans-Christian Ströbele