Spionagevorwurf gegen Song Du-Yul in Südkorea

Suedkoreas Justiz droht Fernsehsender


junge Welt, 12. Juni 2004

Rainer Werning

Seoul: Weitere Zensurmassnahmen im Song-Prozess. Urteilsverkuendung voraussichtlich am 21. Juli

In der vergangenen Woche kam unerwartet Bewegung in das Verfahren gegen den an der Universitaet Muenster lehrenden deutsch-koreanischen Soziologieprofessor Song Du-Yul (59) vor dem High Court in Seoul in zweiter Instanz. So soll am 8. Juli die nordkoreanische Botschaft in Berlin einem der suedkoreanischen Anwaelte von Herrn Song ein Schreiben gefaxt haben, in dem erklaert wird, dass weder bislang noch in Zukunft ein Auslaender nordkoreanisches Politbueromitglied geworden ist beziehungsweise werden kann. Ob ein solches Schreiben, sofern ueberhaupt, noch rechtzeitig vor dem Urteil als Beweisstueck anerkannt wird, steht in den Sternen. Jedenfalls hatten die Gerichte es in der ersten und zweiten Instanz abgelehnt, eine Anfrage an Nordkorea ueber das Wiedervereinigungsministerium in Seoul zu stellen. Den suedkoreanischen Anwaelten ist es aufgrund des Nationalen Sicherheitsgesetzes verboten, direkten Kontakt mit Nordkorea aufzunehmen.

Ende vergangener Woche dann teilte der Oberste Gerichtshof der Fernsehanstalt MBC mit, sie solle "vorsichtig handeln" mit der Ausstrahlung einer Sendung mit dem Titel "Song Du-Yul und das Nationale Sicherheitsgesetz". Mit dem Programm koenne der Prozess "beeinflusst werden", lautete die Begruendung des Obersten Gerichtshofs. Waehrend das Management des MBC die Song-Sendung hinauszoegern wollte, unterstuetzten das Produktionsteam und die Gewerkschaft von MBC die Ausstrahlung. Bereits im vergangenen Jahr war die Fuehrungsspitze des staatlichen Senders KBS in die Schusslinie geraten. Er habe in Sendungen ueber die Heimkehr Song Du-Yuls, so hiess es damals seitens reaktionaerer Politiker und der Staatsanwaltschaft in Seoul, "zu positiv" ueber dessen Person und Ideen berichtet.

Ende Maerz hatte das Distriktgericht in der suedkoreanischen Hauptstadt Seoul den Soziologieprofessor zu einer siebenjaehrigen Haftstrafe verurteilt. Zwei Vorwuerfe standen dabei im Mittelpunkt: Song sei Mitglied des Politbueros der nordkoreanischen Arbeiterpartei gewesen, und er habe in seinen Veroeffentlichungen pro-nordkoreanische Ideologie verherrlicht. Amnesty International bezeichnete Song mittlerweile als politischen Gewissensgefangenen, nannte die Haftbedingungen unmenschlich und kritisierte die Anklage auf Grundlage des Nationalen Sicherheitsgesetzes als Gesinnungsstrafrecht.

Seit Mitte Mai wurde vor dem High Court in Seoul in zweiter Instanz verhandelt, nachdem sowohl die Verteidigung von Professor Song als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hatten. Waehrend die Verteidigung einen Freispruch erreichen will, hat die Staatsanwaltschaft, wie bereits in der ersten Instanz, eine 15jaehrige Haftstrafe beantragt. Am 21. Juli soll die Urteilsverkuendung in der zweiten Instanz erfolgen.

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