Kommentar, Nordkorea

Die Strategie Kim Jong-Ils

Nun hat Majestix Kim Jong Il es allen, vor allem den Amerikanern, wieder einmal gezeigt. Pünktlich zum Unabhängigkeitstag und zu Bushs 60. Geburtstag verhagelt er, der als Filmliebhaber ein Profi in Inszenierungen ist, dem übermächtigen Feind die Feier. Selbst Korea-Experten wie Aidan Foster-Carter zeigen sich „überrascht“ und finden die Entscheidung Nordkoreas „außerordentlich dumm“ bzw. „ziemlich merkwürdig“. Über „Meinungsverschiedenheiten in Pjöngjang“ wird da spekuliert. Der Amerikaner John Feffer mutmaßt, dass angesichts des Nachdrucks auf wirtschaftliche Änderungen Kim Jong Il mit dem Raketentest einem Bedürfnis des Militärs nach einer innenpolitischen Stärkung nachgekommen sei.

Doch statt Spekulationen nachzulaufen, sei hier ein Blick auf die offizielle Stellungnahme des Außenministeriums Nordkoreas geworfen. Hier wird der Raketenabschuss als routinemäßige Militärübung bezeichnet. Dies muss man nicht glauben angesichts der enormen Kosten des Feuerwerks. Nordkorea rechtfertigt die Abschüsse damit, dass man weder gegen internationale Gesetze, noch gegen bi- oder multilaterale Abkommen verstoßen habe. Auch auf das 1999 von Nordkorea erklärte Raketentest-Moratorium wird eingegangen.
Diese Passage ist von großer Bedeutung. Sie macht deutlich, dass es sich bei dem Moratorium um ein Abkommen mit den USA handele, welches nur Gültigkeit besaß, als der Dialog zwischen den USA und Nordkorea aufrechterhalten war. Nordkorea wirft der Bush-Administration vor, alle Übereinkünfte mit der Clinton-Administration für ungültig erklärt und den Dialog vollständig unterbrochen zu haben. Daraufhin habe man von nordkoreanischer Seite aus im März 2005 klargemacht, dass somit auch das Moratorium seine Gültigkeit verloren hätte.

Das Außenministerium geht auch auf ein Raketentest-Moratorium ein, welches 2002 mit Japan verabredet wurde. Eine Verlängerung dieses Moratoriums war zwar für 2003 vorgesehen, aber unter der Voraussetzung der Normalisierung der Beziehungen Japans zu Nordkorea und der Tilgung der Schuld, die aus der japanischen Vergangenheit resultiert. Nordkorea wirft Japan vor, das Problem der Entführung von Japanern durch Nordkorea internationalisiert zu haben und somit im Fahrwasser der Nordkorea-feindlichen Politik der USA mitgeschwommen zu sein.

Dann wendet man sich wieder den USA zu und kritisiert, dass nach den Sechs-Parteien- Gesprächen im September 2005 die USA weit reichende Finanzsanktionen und Militärübungen gegen Nordkorea durchgeführt haben. Im Schlussteil der Erklärung rechtfertigt Nordkorea seine Rüstung als Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Balance der Kräfte, um einen Angriffskrieg der USA wie im Irak zu vermeiden. Für die Sechs-Parteien-Gespräche seien die Raketentests jedoch irrelevant.

Freilich sind diese Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Die regelmäßigen Militärübungen der USA und Japan – zur Zeit laufen die RIMPAC (Rim of the Pacific)-Manöver 2006, in deren Zusammenhang bereits vor dem nordkoreanischen Raketentest die USA einen Test von Hawaii aus durchgeführt haben – werden von den Nordkoreanern beargwöhnt und kritisiert, sind jedoch wohl nicht der eigentliche Anlass für die Raketentests.

Verheerende Folgen der Sanktionen

Durch die Raketentests möchte Kim Jong Il das Interesse der Weltöffentlichkeit, insbesondere der USA, gewinnen, um die USA zu direkten Gesprächen zu bewegen. Die Dringlichkeit dieser Gespräche ergibt sich aus den verheerenden Auswirkungen der Finanzsanktionen der USA gegen Nordkorea. Im Herbst 2005 hatten US-Finanzbehörden bei der in Macao ansässigen Bank Banco Delta Asia nach US-Angaben 48 Mill. US Dollar auf 30 bis 40 Einzelkonten eingefroren. Der Bank wurde vorgeworfen, in Nordkorea angeblich gefälschte 100-Dollar-Noten gewaschen und für Pjöngjang Handelsgeschäfte mit Atom- und Raketentechnik abgewickelt zu haben. Die Folgen dieser Aktion waren verheerend. Viele andere Banken in der ganzen Welt stoppten ihren Geld- und Zahlungsverkehr mit Nordkorea. Dadurch wurden alle Geschäfte und Lieferungen auf Rechnung massiv behindert, die Außenwirtschaft derangiert. Nordkorea forderte daraufhin direkte Gespräche mit den USA und vertrauensbildende Maßnahmen, was letztere mit dem Verweis auf die Sechs-Parteien- Gespräche (USA, Russland, Japan, China, Süd- und Nordkorea) ablehnten. Dass Nordkorea nun trotz Vorbehalten Chinas die Raketentests durchführte, kann man als Anzeichen der Dringlichkeit des nordkoreanischen Anliegens ansehen.
Ein weiteres Gesprächsthema mit den USA wird wohl auch das Verhältnis Nordkorea-Japan sein. Hier erhofft sich Nordkorea, dass die USA den Japanern grünes Licht geben für engere Beziehungen mit Nordkorea, die dann in die Auszahlung von Reparationsleistungen Japans an Nordkorea, als Wiedergutmachung für Vergehen der Japaner während der Zeit der japanischen Besatzung, münden könnten. Diese Gelder braucht Nordkorea dringend zum Aufbau seiner Wirtschaft.

Wird die Strategie Kim Jong Ils erfolgreich sein? Skeptiker meinen, dass nun die Hardliner in den USA, Japan und Südkorea Oberhand gewinnen könnten. Doch welche weiteren Sanktionen gegen Nordkorea sind noch realistisch? Auch war das Risiko Kims berechenbar. Langfristige Projekte mit Südkorea wie der gemeinsame Industriepark Kaesong stehen ohnehin nicht zur Disposition. Ebenfalls werden die Nordkoreaner nicht übersehen haben, dass auch in den USA die Kritik an der Außenpolitik, insbesondere an der gescheiterten Nordkorea-Politik Bushs wächst. Anders als den Galliern um Asterix im Kampf gegen die römischen Besatzer fehlt den bankrotten Nordkoreanern der Zaubertrank. Sanktionen gehen aber vor allem zu Lasten der Bevölkerung. Nur Gespräche und vertrauensbildende Maßnahmen können zu einer Eindämmung des Nordkorea-Problems beitragen.

Dr. Rainer Dormels, geb. 1957, studierte in Köln, Bochum, Hamburg und Seoul. Er ist seit 2005 ordentlicher Professor für Koreanologie am Institut für Ostasienwissenschaften an der Universität Wien.

DIE PRESSE, 11. Juli 2006, S. 30.